Montag, 18. Juli 2011

"Philosophia ante Porta"

Ich hätte gleich stutzig werden müssen: Möbel-Mike wirkte wie ein Herrscher ohne Volk. - Vor ein paar Wochen hatte ich mich entschieden, an einer sonntäglichen Neueröffnung eines hiesigen Möbelhauses teilzunehmen und in den neu angelegten portanischen Säulengängen zu wandeln - und viele tausend Menschen waren offenbar ebenfalls so philosophisch veranlagt.

Nach reiflicher Auseinandersetzung mit einem Tisch (der als erkenntnistheoretisches Objekt ja bereits über eine lange philosophische Tradition verfügt) fiel die Entscheidung für Selbigen (nebst vier Stühlen und einer Holzbank). Nach Auskunft von Mike – meinem sonntäglichen Tischverkäufer - sollte es möglich sein, das Zeug – wie Heidegger sagen würde - in meinem Kombi verstauen und transportieren zu können (lat. portare – tragen, bringen, transportieren).

Frohlockend auf künftige Zeitungslesaktionen an meinen neuen großen Holztisch 160x90cm fuhr ich nach postkartenmäßig erfolgter Benachrichtigung zur Möbelabholung hin zur Warenausgabe. Als nach einem kurzem Moment der Ungewissheit der Herr an der Warenausgabe, der ein bisschen so wirkte wie der Leiter eines Programmtheaters, nur ohne Germanistikstudium, mir in einem großen Rollcontainer die vollverpackten Möbel (ich erinnere: Holztisch, vier Stühle und eine Holzbank) vor die Füße fuhr, staunte ich nicht schlecht: Wie konnte man Möbel vollverpackt so vergrößern, dass sie nicht in (m)einen Kombi passten? Es schien die möbelianische Götzendämmerung gekommen: „Das Möbel ist tot, die Verpackung lebt!“ Da stand ich nun zwischen meinem Kombi und DER kritischen Masse. Ich fühlte mich plötzlich fremd in dieser Welt. Umstehende weitere Möbelabholer fingen an, über mich und meine Masse zu witzeln. Ein gefühlter asymmetrischer Krieg an der Abholfront.

Aber der Möbelgott hatte ein Einsehen und schickte mir einen Verbündeten: Einem Opel-Corsa-Fahrer erging es ähnlich. Der hatte zwar planend vorausgedacht (zwei Sofas passen in einen Corsa nicht rein) und fuhr mit einem Anhänger vor. Aber auch hier hatte die Möbelvollverpackungsindustrie kein Einsehen: Auf besagtem Anhänger ließen sich zwei Sofas einfach nicht verstauen. Vielleicht ließ sich „Porta“ ja auch als neoparadigmatischer Imperativ verstehen: Werden Sie kreativ und erleben Ihre Möbel ganz neu!

Den witzelnden Mob stellte der Möbelgott allerdings vor eine umgekehrte Herausforderung: Eine ältliche Dame war nach dem Corsa-Fahrer an der Reihe. Sie irrte zunächst vor dem Tore (lat. porta – Tür, Pforte) der Warenausgabe herum. Ich wies sie an, in den Nebenraum zu gehen, dort musste man nämlich den Abholschein vorzeigen, um danach die kritische Masse in Empfang zu nehmen. Der witzelnder Mob – zwei exponierte Mitbringsel bzw. Packesel der ältlichen Dame – blieb zunächst draußen vor der Tür. Beide Packesel waren an den Vorderpfoten tätowiert mit Kippe im Mundwinkel bestückt. Pervers – fast wie Chicago Killer! Die beiden "Models" hatten sich wohl schon häufiger als Möbelabholexperten ausgezeichnet, die Frau beraten und davon überzeugen können, dass man bei der Möbelabholung immer über ausreichenden Transportraum verfügen sollte. Schlau! Von Panik gepackt hatte die Dame einen 7,5 Tonner gechartert. Doch leider erwies sich die Volumenschätzung der beiden Profischwätzer als ebenso deftig daneben wie die politischen Einschätzungen des zeitgenössischen Sophisten Richard D. Precht während entsprechender Fernsehrunden. Die Dame hätte die mangelhafte Schätzkompetenz bereits an der Wahl ihrer Kleidergröße erkennen können. Der Muckibude erfolgreich entronnen, dem Hefeweizen huldigend, meinten die Alltagspraktiker offenbar, dass ein T-Shirt mit der Größe S noch machbar wäre. Vergeblich: Der Zuschauer sah nicht nur die Brustwarzen sondern auch diverse Rettungsgerätschaften der beiden Sumo-Ringer. Nachdem der verhinderte Germanistikstudent das bestellte Möbelstück der Dame und ihren Begleitern ausgehändigt hatte, stellte man nach kurzer Evaluation fest: Für ein Badschränkchen mit der von mir geschätzten kritischen Masse 100x100x30 cm ist ein 7,5 Tonner definitv zu groß. Ich hätte den plötzlich in Begriffsstutzigkeit Erstarrten gerne noch ein Zitat von Epiktet über Schafe hochnäsig entgegen geschleudert, verkniff mir dies jedoch in der Einsicht, dass dies weit über die portanische Gesprächskultur hinausgehen würde. Allerdings erklärte ich ihnen mit ernstem Gesicht gefühlt den Krieg und rief still in mich hinein: Ich lasse mich nicht infantilisieren!
Was ich sagen noch wollte: Ich habe mein Zeugs dann doch im Kombi verstaut, auch wenn ich schließlich mit meinen Brustwarzen lenken musste, so sehr war der Fahrersitz nach vorn geschoben. Sobald ich das Gerät aufgebaut hatte, widmete ich mich seiner journalistischen Entjungferung: Mit einer Frankfurter Rundschau …




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