Donnerstag, 12. Juli 2012

Ernste philosophische Probleme? Ein Textfragment von Albert Camus: Über den Selbstmord


Bildquelle Wikipedia

Albert Camus über den Selbstmord "Es gibt nur ein wirkliches ernstes philosophisches Problem: den Selbstmord. Die Entscheidung, ob das Leben sich lohne oder nicht, beantwortet die Grundfrage der Philosophie. [..] Was für ein unberechenbares Gefühl raubt nun dem Geist den lebensnotwendigen Schlaf? Eine Welt, die sich - wenn auch mit schlechten Gründen - deuten und rechtfertigen läßt, ist immer noch eine vertraute Welt. Aber in einem Universum, das plötzlich der Illusion und des Lichtes beraubt ist, fühlt der Mensch sich fremd. (...) Schließlich führt dieses Erwachen mit der Zeit folgerichtig zu der Lösung: Selbstmord oder Wiederherstellung. (...) Hingegen sehe ich viele Leute sterben, weil sie das Leben nicht für lebenswert halten. Andere wieder lassen sich paradoxerweise für Ideen oder Illusionen umbringen, die ihnen einen Grund zum Leben bedeuten (was man einen Grund zum Leben nennt, ist gleichzeitig ein ausgezeichneter Grund zum Sterben). Also schließe ich, dass der Sinn des Lebens die dringlichste aller Fragen ist. Wie ist sie zu beantworten? (…) Man hat den Selbstmord immer nur als soziales Phänomen behandelt. Hier geht es zunächst einmal darum, nach der Beziehung zwischen individuellem Denken und Selbstmord zu fragen. Eine solche Tat bereitet sich in der Still des Herzens vor, geradeso wie ein bedeutendes Werk. (…) Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen." Quelle: Camus, Albert, Der Mythos des Sisyphos, Reinbek bei Hamburg 2000, S. 12 (Textgrundlage Original 1965).

Antworten, Briefe, Gedanken, Fragmente zu Albert Camus Gedanken finden sich als Kommentare unter diesem Posteintrag. Jeder ist eingladen die Gedankenliste fortzuführen ... (Das Muckraker-Team)

4 Kommentare:

Muckraker hat gesagt…

Ein fiktiver Brief an Albert Camus:

Lieber Camus,
für mich ist der Sinn des Lebens das Streben, und hoffentlich auch das Erreichen, des Einklangs vom Leben des Menschen mit seiner Selbst. Besteht ein solcher Einklang nicht, so entsteht eine „Absurdität“, wie sie sie schön beschreiben, woraus folgt, dass der
gesunde Menschenverstand dem eigenen Leben keinen Sinn/keine Bedeutung mehr zuordnen kann.
Der Sinn des Lebens ist also sein Geschenk Gottes, das Leben, zu nutzen und seine Selbstbestimmung im Einklang seiner Selbst mit diesem zu finden. Sollte es nicht möglich sein dies zu erreichen, so ist ein Selbstmordgedanke meiner Meinung nach nicht mehr
egoistisch. Was ist schon ein Leben ohne jeglichen Einklang, ja ohne die Basis des Einklangs?
Ist Selbstbestimmung auf einem solchen Wege nicht möglich, so ist auch die eigene Abschaffung eine Art der Selbstbestimmung. Der Selbstmord wird somit die einem
vielleicht zweiten Sinn des Lebens.

Liebe Grüße, Nele (Juli 2012)

heimwehbilder hat gesagt…

Lieber Albert,
Du beginnst Dein Buch mit einem hammerharten Satz. Puhhh! Mir scheint, manchmal, dass der Mensch letztlich wie eine Glühbirne ist. Eine Birne, die brennen kann - oder eben auch nicht. es liegt wohl an ihm selbst, ob er den Strom anknipst und das Ding zum leuchten bringt. Ist das die aktive Sinngebung? Das Licht anknipsen heißt: Dem Leben einen Sinn geben? Was passiert, wenn man das Licht ausknipst? Selbstmord?
Ja, Selbstmord ist wohl eine Alternative zu den Mühen und zur Monotonie des Alltags. Aber Alltag gibt auch halt, er gibt Struktur, er gibt Sinn. Der Alltag von Sisyphos besteht ja in einer Art Monotonie. Ich für meinen Teil habe die Frage nach dem Leben beantwortet. Ich will leben. Ich will Sinn geben. Mir und dem Nächsten ...

beste Grüße, Heimwehbilder

Anonym hat gesagt…

Sehr geehrter Herr Albert Camus,

Im Mai 1936 notieren Sie in Ihr Tagebuch: "Eines Tages ein Buch schreiben, das den Sinn ergibt." Hiermit finden wir den ersten Anklang zu Ihrem wohl philosophischen Hauptwerk "Der Mythos des Sisyphos". Vergleicht man den Begriff des Sinns in diesem Zusammenhang mit seiner Bedeutung im sechs Jahre später erschienenen Mythos des Sisyphos, so fällt auf, das aus dem Willen, Sinn durch ein literarisches Werk zu schaffen, die Frage entsteht, was der Sinn überhaupt sein kann. Und eben diese Frage behandeln Sie im Mythos des Sisyphos. Und dies tun Sie für meine Begriffe mit unglaublichem Mut. Sie tun den Spalt des Menschen zu der ihn umgebenden Welt auf und vielmehr: Sie besitzen den Willen, diesen Spalt zu ergründen. Letztlich entsteht aus diesem Spalt der Begriff,oder vielmehr der Zustand des Absurden. Falls Sie mir erlauben, Sie zu zitieren: " Das Absurde entsteht aus dem Zusammenstoß zwischen dem Ruf des Menschen und dem vernunftlosen Schweigen der Welt." Hiermit finden wir uns im gewissen Gefühl der "Unheimlichkeit" des Menschen in einer fremden Welt wieder. Die Anklänge der von Heidegger und später Sartre beschworenen Geworfenheit sind hier deutlich zu spüren. Sie beantworten die Frage nach dem Sinn zum Ende des Mythos des Sisyphos mit den Worten: "Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen." Diese Antwort war auf Grundlage der Richtung, die Ihr Werk einschlägt, wohl kaum zu umgehen. Befriedigt hat sie mich dennoch nie. Der Schluss, den ich aus Ihrer Philosophie und speziell dem Mythos des Sisyphos ziehe, ist die Berufung auf seine eigenen Interessen und Stärken. Schlicht: Die Neugier und den Willen, den es braucht, sich selbst nach eigenen Grundsätzen zu schaffen. Ob sie es nach Ihrer gescheiterten Freundschaft und literarischen Bindung zu Sartre stört oder nicht, aber hiermit befinden wir uns sehr nah bei den Worten Sartres. Und hier findet sich die Parallele wieder, die ich am Anfang schon angedeutet hatte: Sie ähneln der literarischen Figur Antoine Roquentin, der Hauptfigur in Sartres erstem Werk "Der Ekel" sehr stark. Roquentin fühlt sich eben in dieser Welt unheimlich und empfindet tiefen Ekel für sie. Am Ende führt Roquentin das Leben eines Schriftstellers und gibt sich seinen Sinn in Literatur und Philosophie. Und genau so wollten und taten Sie es mit Ihrem Werk "Der Mythos des Sisyphos".

Mit freundlichen Grüßen,

Fabian Hartmann

heimwehbilder hat gesagt…

Ja, das finde ich gut: Neugier und Willen haben. Vor allem nach dem Scheitern der Freundschaft. Letztlich bezieht sich das doch immer auf das Scheitern und die "Wiederherstellung" dessen, was den Menschen ausmacht. Wiederaufstehen nach dem Zurückgeworfenwerden auf die eigene Existenz. Grenzsituationen aushalten und Stärke gewinnen, ohne in den Nihilismus abzutriften