Montag, 27. Juli 2009

Gastbeitrag: Nach der Tour ist vor der Tour! Doping als Problem und als Lösung

Muckrakers präsentierten ab heute in unregelmäßigen Abständen Gastbeiträge von Denkenden, Schreibenden, Wissenschaftlern. Im Rahmen der sportlichen Höhe- bzw. Tiefpunkte des Jahres widmet sich Heiko Steiniger (philosophierender Soziologe, Lehrbeauftragter an der Uni Jena) dem Thema "Leistungsmanipulation":

Ist die Geschichte der Kultur eine Geschichte der Manipulation von Körper und Geist?

Eine gewisse Wahlverwandtschaft scheint es da schon zu geben. Aber gesellschaftliche Mechanismen spielen doch eine nicht unerhebliche Rolle bei der Frage nach Doping, Drogen, Rauschmitteln.
In allen Bereichen der Gesellschaft wird heute aus den unterschiedlichsten Gründen mit legalen und illegalen Mitteln nachgeholfen. Ein entscheidendes Motiv scheint heute jedoch nicht mehr der reine Genuss oder die Erfahrung des kollektiven Rausches zu sein, sondern die pure Erfordernis der Leistungssteigerung im Konkurrenzgetriebe der Gesellschaft. Man könnte es auf die Spitze treiben und formulieren: Früher wollten wir dopen, heute müssen wir dopen. Wollen wir heute aufholen, mithalten und den Abstieg vermeiden im innergesellschaftlichen Konkurrenzkampf, sind wir dazu angehalten, unsere Leistungen zu optimieren und über die den Körper und dem Geist eingeschriebenen Leistungsgrenzen hinauszugehen.
Da unterscheidet sich der Soziologe oder der Philosoph nicht vom Sportler, Rockstar oder gestressten Mediziner. Wir alle unterliegen den gestiegenen Anforderungen im Berufs- und Privatleben. Die Ursachen und Motive scheinen also gleich gelagert zu sein. Unterschiede manifestieren sich scheinbar nur noch in den Formen und Praktiken der Leistungsoptimierung.
Für den Geistes- und Sozialwissenschaftler ist die Maximierung der Anzahl der Blutkörperchen und des Lungenvolumens eher zu vernachlässigen. Hier geht es schon eher darum, die Denkleistung zu erhöhen, die Arbeitsleistung zu steigern, die biologischen Rhythmen zu brechen und sein Schlafpensum zu verkürzen, um möglichst produktiv zu sein. Ganz zu schweigen von den körperlichen Anstrengungen (ständiges Sitzen), die durch entsprechende Medikamente auch mal schnell zum Verschwinden gebracht werden müssen. Will man besser sein als der andere, darf man auf die natürlichen Bedürfnisse des Körpers keine Rücksicht nehmen. Die Hamsterradlogik der Konkurrenz erhöht nach und nach die Motivation zur und den Umfang der körperlichen und geistigen Manipulation. Und auch die Rolle der Rauschmittel und des Dopings für die gesellschaftliche Integration scheint sich neu zu justieren. Vom öffentlichen und kollektiven bewegen wir uns heute mehr und mehr einem verschwiegenen und isolierten Drogenkonsum zu. Man redet nicht gern drüber, wenn man nach dem Abend noch mal schnell einen Schnaps verklappt oder sich die Beruhigungstabletten zuführt.
Das scheint in allen Gesellschaftsbereichen und -schichten mehr oder weniger der Fall zu sein.
Die fröhlichen, die sozialen Bindungen stärkenden, Trinkgelage der alten antiken Philosophen werden also abgelöst durch eine suchtmäßig ausgeprägte, isolierte Betäubung der Individuen, die immer weniger in der Lage sind, ohne entsprechende Stimulanzien ihren Lebensalltag zu meistern. Leider gibt es in den meisten gesellschaftlichen Bereichen eine hohe Akzeptanz solcher Selbstbehandlungsformen, ganz nach dem Motto: solange es der Leistungsoptimierung dient!
Hier muss also erstmal eine Sensibilität geschaffen werden, die auch die Frage nicht außen vor lässt, wollen wir eigentlich in einer Gesellschaft leben, die diese Manipulation in solchem Maße befördert oder zumindest duldet? Und wie lässt sich dies gegeben eventuell ändern? Diese Fragen werden allerdings erst gestellt, wenn man das ständige Manipulieren als Bedrohung der gesellschaftlichen Stabilität und vor allem der gelungenen individuellen Lebensführung der Akteure betrachtet. Davon sind wir allerdings (noch) weit entfernt.

von Heiko Steiniger

Zum Autor:
Heiko Steiniger studierte Soziologie, Wirtschaftswissenschaften und Philosophie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, seine Magisterarbeit verfasste er über Pierre Bourdieu. Im letzten Semester war er Lehrbeauftragter am Institut für Soziologie der Uni Jena.

3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Die Zeilen zur Leistungssteigerung sprechen mir aus der Seele. Richtig ist jadass sich das Problem der Leistungssteigerung zunehmend aus dem Sport in den gesellschaftlichen und privaten Lebensbereich ausdehnt.
Ich habe mir neulich eine Folge von 37° angeschaut, da ging es um den Alkoholkonsum von Ärzten (Der Spiegel veröffentlichte letztes Jahr dazu einen Artikel.). Der Griff zum Glas Wein nach Feierabend bzw. zur Beruhigungstablette liegt oft nahe.
Es ist ein Teil der Menschheitsgeschichte, die eigenen Grenzen nicht zu akzeptieren und der Wille, diese Grenzen zu verschieben. Statt sich seiner Endlichkeit bewusst zu werden und sich zu bremsen. Mir wäre eine Renaissance der Langsamkeit diesbezüglich lieber. Gewissermaßen nach dem Motto: Sex ist doof, Kuscheln ist schön! Aber Männer lassen sich hier auch unter Druck setzten und nehmen dann halt mal die blauen Pillen ...

Severin hat gesagt…

Das Thema Doping ist mir in letzter Zeit häufoger durch den Kopf gegangen. Wie kann es denn eigentlich sein, dass z.B. ein Sportler mit der Aussage "Erlaubt ist, was nicht gefunden wird." nahezu ungeschoren davon kommt, ja sogar einige Fachkreise über eine Rehabilitierung nachdenken! Ich bin zwar kein besonderer Pferdefreund, aber was mich an dieser Stelle auch geärgert hat, war, dass nicht die Sportler selbst ihren Körper ruinieren, sondern den ihres "tierischen Partners", man möge mir diese unbeholfene Formulierung verzeihen. Ich stimme mit dem überein, was Herr Steiniger bereits sagte: Zuerst muss ein Bewusstsein geschaffen werden. Solange die Leute sich keine Gedanken über die Folgen ihrer Leistungssteigerung machen, seien sie auch nicht rechtlicher Natur, wird sich nichts ändern.
Ich hätte eigentlich gedacht, dass die Leute den DDR-Sportlern, die noch immer unter den Spätfolgen ihres "Kollektivdopings" leiden, bzw. den Berichten darüber etwas mehr Beachtung geschenkt hätten.

Anonym hat gesagt…

Diskussionwürdig sind natürlich die aktuellen Schwimmspiele in Rom ... da stellt sich der deutsche Biedermann hin (was für ein inhatlich treffender Name!) und anwtortet auf dei Frage nach seiner Leistungsexplosion, dass ihn die Unterstützung seiner Familie dahin gebracht habe ... bbrrrr ... das ist ja wie in "Lance"-Zeiten, der mit Nudeln und Dehnübungen seine Tour de France-Erfolge erklären wollte. Ich finde diese Ignoranz fast kriminell. Es wird sich erst (auch mental) etwas ändern wenn unerlaubte Leistungssteigerung ins Strafgesetzbuch aufgenommen wird.
Das Problem der Spätfolgen von Doping wird unter den Teppich gekehrt, das sieht man an den ehemaligen DDR-Sportlern, die auf z.B. eine Rente klagen ... hier bin ich wie Severin enttäuscht.