Montag, 15. November 2010

Q 3/4: Klasse Mode! Oder warum der Führende immer auch der Geführte ist!

Georg Simmel: Zur Psychologie der Mode

Mode ist ein breit gefächerter, schwer zu fassender Begriff. Er umfasst nicht nur Oberflächlichkeiten wie Kleidung oder Frisuren, sondern kann auch Verhaltens -oder Umgangsformen einschließen. Doch wie entsteht überhaupt eine Mode? Der deutsche Philosoph und Soziologe Georg Simmel hat in seiner „Psychologie der Mode“ versucht, diese Frage zu beantworten.
Eine Mode zeichnet sich laut Simmel zunächst einmal dadurch aus, dass sie nur von einem Teil der Gesellschaft ausgeübt wird. Das kann ein einzelnes Individuum sein oder eine kleinere Gruppe von Menschen, aber nie die gesamte Gesellschaft, denn eine Mode lebt von der, wie Simmel sie nennt, „nach Gleichem strebenden Gesamtheit“. Es muss immer jemanden geben, der den kleinen Teil, der eine bestimmte Mode vorgibt, um diese beneidet und danach strebt das Gleiche zu tun. Andernfalls gibt es für den Modeschöpfer keinen Grund mehr, sie weiter auszuüben. Spätestens aber, wenn die „nach Gleichem strebende Gesamtheit“ vollständig zur „Gleiches tuenden Gesamtheit geworden ist“, muss eine neue Mode her.
Die Gründe für das Ausüben einer Mode liegen nach Simmels Auffassung in zwei unterschiedlichen Bedürfnissen: Zum einen im Bedürfnis nach Abgrenzung und zum anderen im Bedürfnis nach Zugehörigkeit. Man will sich also mit der Wahl eines bestimmten Stils entweder vom Rest der Gesellschaft abgrenzen oder in eine bestimmte Gruppe integriert werden. Beide Bedürfnisse entstehen laut Simmel jedoch aufgrund der Unselbstständigkeit und Anlehnungsbedürftigkeit von Menschen, die die Anerkennung anderer Menschen benötigen, um ihr Selbstwertgefühl zu steigern. Deshalb sind die Schöpfer neues Moden auch meistens dieselben, die auch vorher schon in dieser Position waren.
Auch wenn Simmels Theorie auf den sozialen Umständen des 19. Jahrhunderts basiert und unsere Gesellschaft heute deutlich differenzierter ist, sind die Gründe für das entstehen einer Mode die gleichen geblieben. Das Bedürfnis nach Abgrenzung oder Zugehörigkeit ist noch immer ausschlaggebend.

Als Karikatur auf modische Menschen die "sogenannten Klassefrauen" von Erich Kästner:

Sind sie nicht pfuiteuflisch anzuschauen?
Plötzlich färben sich die Klassefrauen,
weil es Mode ist, die Nägel rot!

Wenn es Mode wird, sie abzukauen,
oder mit dem Hammer blau zu hauen,
tuns sie's auch und freuen sich halbtot.

Wenn es Mode wird, die Brust zu färben
oder - falls man die nicht hat - den Bauch...
wenn es Mode wird, als Kind zu sterben
oder sich die Hände gelb zu gerben
bis sie Handschuh'n ähneln, tun sie's auch.

Wenn es Mode wird, sich schwarz zu schmieren,
wenn verrückte Gänse in Paris
sich die Haut wie Chinakrepp plissieren,
wenn es Mode wird, auf allen Vieren
durch die Stadt zu kriechen, machen sie's.

Wenn es gälte, Volapük zu lernen,
und die Nasenlöcher zuzunähn
und die Schädeldecke zu entfernen
und das Bein zu heben an Laternen
morgen könnten wir's bei ihnen seh'n.


Denn sie fliegen wie mit Engelsflügeln
immer auf den ersten besten Mist.
Selbst das Schienbein würden sie sich bügeln!
Und sie sind auf keine Art zu zügeln,
wenn sie hören, daß was Mode ist.

Wenn's doch Mode würde, zu verblöden!
Denn in dieser Hinsicht sind sie groß.
Wenn's doch Mode würde, diesen Kröten
jede Öffnung einzeln zuzulöten,
denn dann wären wir sie endlich los.

unter [klick] findet sich eine vertonte Version von Holger Münzer (1976)

Weiterführende Links/Literatur:

  • Eveline Müller (Uni Zürich), Georg Simmels Modetheorie, Zürich 2003. [klick zum pdf]
  • Ingo Mörth (Uni Linz), Georg Simmels Modetherien, Linz 2004. [klick zum pdf]


Formales:
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Blogbeitrag von: Felix Sievers
Kurs: Q 3/4 pl1 und pl2
Datum: 14.11.2010
Thema: Georg Simmel: Zur Psychologie der Mode

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